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Julley Ladakh*

Endlich war es soweit. Wir waren auf dem Weg in das Land, welches vor 2 Jahren Startpunkt unserer ersten Reise war und uns damals täglich durch seine extreme Emotionalität inspiriert, frustriert, bewegt und gefesselt hat - und durch seine Widersprüchlichkeit herausgefordert und in seinen Bann gezogen hat:


 

 

Indien



Nachdem wir letztes Mal quer durch den Süden gereist sind, ging es dieses Mal in den Norden des Landes. Unser Plan war es, uns von Delhi aus auf dem Landweg über Manali bis nach Leh, immer weiter nördlich zu bewegen. Da jedoch gerade die Fahrt über den Manali-Leh-Highway zeitlich schwierig zu kalkulieren ist (Die Angaben variieren von 20 - 72 h) und der Pass zum Zeitpunkt unserer Ankunft aufgrund schlechten Wetters noch gesperrt war, drehten wir unsere Reiseroute spontan um und buchten (während wir am Bangkoker Flughafen in der Warteschlange standen!) einen Weiterflug von Delhi nach Leh.



Nach einem spektakulären Flug über die Ausläufer des Himalaya Gebirge landeten wir morgens in Leh, hatten dort ein ganz besonderes Wiedersehen mit einer ehemaligen Nachbarin Saskias und fuhren dann gemeinsam, in das ca. 10 km außerhalb gelegene Mahabodhi-Zentrum.

Dieses wurde vor fast 25 Jahren von dem Mönch Bhikkhu Sanghasena gegründet und beherbergt in mehreren Gebäudekomplexen Wohnmöglichkeiten für 250 Jungen und Mädchen aus mittellosen Familien, die meist aus Dörfern weit außerhalb von Leh stammen und kann insgesamt ca. 500 Schüler in der eigenen Schule unterrichten. Eine Schule für Sehbehinderte, ein Krankenhaus, ein Altenheim, sowie ein großes Meditations-Zentrum sind ebenfalls Teil dieser Anlage.

 

Zusätzlich befinden sich auf dem Zentrumsgelände die wohl am schönsten gelegenen Unterkünfte der ganzen Stadt und spätestens der Ausblick von unserem Balkon machte uns - neben unserem drei Tages „Schweige-Meditationskurs“ - absolut sprachlos 




Leh und die angrenzenden Siedlungen liegen auf 3500 m Höhe in einer riesigen Talebene - eingerahmt von bis zu 6500 m hohen schneebedeckten Bergen des Himalayas und wo man auch hinschaut, flattern nicht enden wollende Ketten bunter Gebetsfähnchen im Wind. Die gesamte Umgebung besticht durch ihre raue, karge Schönheit und immer wieder werden die Gestein - und Sandflächen von grün bewachsenen Oasensiedlungen oder mystisch auf Berghängen gebauten Klöstern unterbrochen.



Die ersten Tage nutzten wir, um uns in idyllischer Lage an die Höhe zu akklimatisieren, Pläne für unsere Zeit in Ladakh zu schmieden und die auf ganz besondere Weise mystische Atmosphäre dieses Ortes auf uns wirken zu lassen. Da uns für eine ausgedehnte Trekkingtour ein wenig die Zeit und ganz viel an eigener Ausrüstung fehlte und wir keine Lust hatten einer organisierten Tour hinterher zu trotten, beschlossen wir diesen Teil aufs nächste Mal zu verschieben und anstatt dessen einen motorisierten Ausflug in eines der abgelegensten Gebiete Ladakhs zu unternehmen.

 

Unser Ziel war das kleine, am äußersten „Ende“ des Nubra-Tals gelegene Örtchen Turtuk, welches bis 1971 zu Pakistan gehörte, nach kriegerischen Grenzkonflikten jetzt auf indischem Gebiet liegt und somit heute den letzten Außenposten Indiens vor der Indisch-Pakistanischen Grenze darstellt. Bis vor fünf Jahren war es generell unmöglich zu diesem Ort vor zu dringen und auch heute noch bedarf es einer gesonderten Genehmigung, welche auf der Fahrt dorthin akribisch von den zahlreichen Militärposten kontrolliert wird.

 

Um überhaupt ins Nubra-Tal zu gelangen, mussten wir zuerst den höchsten motorisiert befahrbaren Pass der Welt - den auf mindestens 5360 m (die offizielle Höhe von 5606 m wird von einigen Quellen angezweifelt) gelegenen Khardung La-Pass - überqueren.



Da wir auf dem Pass zu unserer Überraschung weder unter höhenbedingter Übelkeit, noch unter durch den Sauerstoffmangel hervorgerufener Blödheit (diese erschien uns dort oben nicht ausgeprägter als sonst! ;-)) zu leiden hatten, nutzten wir die Gelegenheit für eine kleine Stärkung in der vermutlich höchst gelegensten Imbissbude der Welt und erreichten anschließend (nachdem wir dank zahlreicher Hilfe, unser festgefahrenes Fahrzeug wieder aus einem Schneeloch befreit hatten) den Anfang des Nubra-Tals.



Glaubt man den zahlreichen Beschreibungen, ist das Nubra-Tal eines der schönsten Täler Ladakhs und hebt sich durch seine vergleichsweise üppige Gras und Baum-Landschaft deutlich von den umgebenen Regionen ab. Und dieses Mal hatten all die Lobeshymnen wirklich nicht zu viel versprochen. Es eröffnete sich uns ein unendlich wirkender Blick in das Tal, durchzogen von unzähligen Grün-, Braun- und sogar Lilatönen - eingerahmt von schneebedeckten Gipfeln des Himalaya Gebirges.




Da es schon relativ spät war, verbrachten wir die erste Nacht in Summor, bevor wir am anderen Tag entlang des nord-westlichen Arms des Tals nach Turtuk weiterfuhren. Das kleine Örtchen Summor versprühte nicht nur durch seine (im Vergleich zu Leh) unbeschreiblich großen Grünflächen einen besonderen Charme, sondern überraschte und überwältigte uns besonders durch seine plötzlich auftauchenden wüstenhaften Sanddünen, die bis zum Örtchen Hundur auf der anderen Seite des Tals reichen und sogar einige mongolische Doppel-Höcker-Kamele beheimaten.

 

Während der fast fünf stündigen Fahrt von Summor nach Turtuk verschwanden die Grünflächen zusehends und wurden zwischenzeitlich von einer kargen, lebensfeindlich wirkenden Geröllwüste abgelöst, in der die Tarnanstriche der Militärbaracken zuweilen die einzigen Farbklekse darstellten.




Schließlich wandelte sich die Landschaft jedoch erneut in eine zum Teil dicht bewachsene Ebene und wir erreichten das idyllisch gelegene Örtchen Turtuk, von dem aus man das Tal entlang auf das, auf pakistanischer Seite gelegene Karakorum Gebirge blicken kann.



Dieses ca. 2500 Einwohner zählende Dorf unterscheidet sich schon alleine dadurch auffällig vom Rest Ladakhs, das alle(!) dort lebenden Menschen dem muslimischen Glauben angehören. Turtuk besitzt zwar auch eine kleine Monastery, die einzige Buddhistin des Ortes ist allerdings eine Frau, deren Aufgabe es ist, sich um das Gebäude zu kümmern und dort jeden Tag die Kerzen anzuzünden.

 

Lässt man die dort lebenden Menschen in Auftreten, Aussehen und Kleidung, die landschaftliche Umgebung, die Bauart der Häuser, die Moschee, den Gesang des Muezzin, die fehlenden Gebetsfähnchen und die Struktur des Dorfes auf sich wirken, so fühlt man sich plötzlich in eine andere Zeit versetzt und glaubt wirklich eher in Pakistan, als in Indien zu sein. Ob der offensichtlich besondere Charakter des Ortes eher dem jahrelangen pakistanischen Einfluss (ethnisch, religiös und politisch), oder den auf uns so extrem hart wirkenden Lebensumständen geschuldet ist, läßt sich von uns nicht beurteilen. Beide Faktoren sind allerdings kaum zu übersehen …



 

 

Scheu und Neugierde findet man in Turtuk manchmal nah bei einander ...

 


Strom gibt es im gesamten Ort bestenfalls vier Stunden am Abend, fließendes (geschweige denn warmes) Wasser ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit, gekocht wird über offenem Feuer und - da der Hauptteil dieses Ortes nicht mit Autos zu erreichen ist - wird alles was die Menschen an Materialien (Holz, Steine, Zement, …) benötigen von diesen entweder zu Fuß oder mit Eseln an Ort und Stelle gebracht. Da dieser Ort so unzugänglich ist und weit von dem nächsten größeren Dörfchen entfernt liegt, wird der Großteil der Nahrungsmittel selber angebaut und teilweise werden bestimmte Prozesse wie beispielsweise das Mahlen von Getreide noch manuell mit einem Malstein bewerkstelligt. Lediglich an vier Monaten im Jahr herrschen moderate Temperaturen und neben der Landwirtschaft bleibt den Dorfbewohnern nur noch der wenige Tourismus als Einnahmequelle. Denn auch während des eiskalten Winters bleiben die Menschen an diesem Ort und meistern dort ihr Leben, oder wie es auf uns manchmal wirkte - Überleben.

 

Doch nicht nur an diesem entlegenen Fleckchen herrschen raue Bedingungen. Die bei gutem Wetter wunderschön erscheinende Kulisse des Himalayas ändert sein Gesicht zuweilen abrupt und gibt einen weiteren Einblick in den rauen entbehrungsreichen Alltag der dort lebenden Menschen.



Die Macht der Natur bekamen wir auch auf der Rückfahrt nach Leh zu spüren. Ändert plötzlich kälteres, regnerisches Wetter nicht nur die Stimmung dieses Ortes oder gar des ganzen Tales, so war auch unerwarteter Weise der Khardung La Pass den ganzen Tag u.a. wegen Lawinengefahr gesperrt und wir sahen uns schon eine weitere Nacht im Nubra Tal verbringend.

 

Der einzige andere, etwa einen Tag Umweg bedeutenden Weg zurück nach Leh führt über den Chang La Pass und den Pangong See, doch dieser schien ebenfalls (wegen Steinschlag) gesperrt zu sein. So blieb uns nichts anderes übrig, als uns mit Momos den Bauch voll schlagen, abzuwarten und Chai zu trinken ...

 

Der Wettergott war uns aber schließlich doch noch gnädig gesonnen und aufgrund der Vordrängelkünste und des rasanten Fahrstils unseres Fahrers schafften wir - zusammen mit nur wenigen anderen Autos - doch noch kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Überquerung des Passes und wurden über dies noch mit einer genialen Sonnenuntergangskulisse über den Bergen beschenkt!



Auch hatten wir das riesige Glück vor unserer Weiterreise nach Manali in Hemis noch ein großes traditionelles Fest in einer der schönsten Monasterys der Umgebung mitzuerleben. Die vielen Ess-, Tee - und Souvenirstände, machten zwar zuerst den Eindruck einer großen lokalen Kirmes, doch im Herzen des Klosters wurden in traditionellen Gewändern und Kostümen Tänze, Gesänge und Zeremonien aufgeführt und vermittelten einen kleinen Eindruck von der geschichtlichen und kulturellen Vergangenheit dieser buddhistischen Klosteranlagen.




In der kommenden Nacht heißt es für uns mal wieder Bus fahren. Dann geht es nämlich über die zweit und dritthöchsten Pässe der Welt auf abenteuerlichen Straßen ins mindestens 20 h entfernte (und hoffentlich aktuell nicht zu verregnete!) Boulderparadies Manali …



Julley* = Ladakhi für "Hallo"

(wird aber auch als "Danke" und zur Verabschiedung benutzt ...)