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Gestrandet im Orangen-Paradies

Eigentlich wollten wir schon längst auf dem Weg in den Norden Spaniens sein. Montserrat, Siurana, Margalef, Rodellar, Riglos, Terradets … in unzähliger Fülle locken die bekannten (und unbekannten) Klettergebiete der Region. Allerdings blieb es dort bis jetzt beständig kalt, letzte Woche gab es sogar Schnee und die Aussicht darauf, sich unmittelbar bei Sonnenuntergang in die Schlafsäcke in unseren unbeheizten Bus zurückziehen zu müssen und auf die Minustemperaturen der Nacht zu warten, erschien uns dann doch wenig verlockend.

 

Daher blieben wir lieber wo wir waren, verbrachten zusammen mit Anne zu ihrem 30. Geburtstag einige entspannte Tage mit viel Sonne, Gemütlichkeit und Tapas in Valencia ...




... besuchten anschließend den einen oder anderen noch unveröffentlichten Kletter-Spot (manchmal rücken die Locals mit viel Glück ja doch ein paar Infos raus ;-)) und strandeten schlussendlich in den Klettergebieten rund um Gandia. Der sogenannte Hauptsektor ist zwar schon ziemlich abgeschmiert und den ganzen Tag über prall in der Sonne, aber dank eines Insider-Tipps, bekamen wir dort die Routen-Skizze einer neu eingebohrten Höhle.



Genau genommen einer riesigen überhängenden Höhle mit noch rauem Fels und extrem cooler Loch- und Sinterkletterei, die zur Höhlenmitte an Steilheit immer weiter zunimmt und in der man die ganze Woche alleine klettert und lediglich am Wochenende die starken spanischen Kletterer trifft, die ihre für uns unkletterbar aussehenden Projekte beackern. Schöne Aufwärmtouren in der Morgensonne und die vielen potentiellen Projekte im schattigen Überhang luden uns zum Verweilen ein.

 

Und das taten wir dann auch!



Unser Bus-Stellplatz (eine weiträumige Toreinfahrt) grenzt unmittelbar an weitläufige Orangenheine und nachdem wir die Einheimischen regelmäßig dabei beobachteten, wie sie mit dem Auto vorfuhren, um ihren Kofferraum mit Orangen zu füllen, verschwand auch unsere Scheu und anstatt hin und wieder mal ein oder zwei zu pflücken, füllen auch wir nun jeden Morgen eine riesige Tüte mit, von der Nacht noch erfrischend kühlen Orangen, pressen uns zum Frühstück mindestens einen ganzen Liter Saft, essen während des Tages ein weiteres halbes Duzend und vertilgen so momentan jeden Tag zusammen zwischen 15 und 20 Stück dieser fruchtig süssen, frisch gepflückten und sonnengereiften Köstlichkeiten …



 

 

 

... der Tagesbedarf

sollte damit gedeckt sein.

 


Bedenkt man, dass wir jetzt so ca. 10 Tage hier sind, kommt da ein ganz schöner Berg an Orangen zusammen - nach unserer Weiterreise werden wir wahrscheinlich ausgeprägte Entzugserscheinungen entwickeln, aber bis dahin nehmen wir mit, was wir kriegen können!

 

Ein Wechselbad der Emotionen bescherte uns dann ein kurzer Ausflug zum Supermarkt. Noch geprägt von unserer Zeit in Chullila, wo jeder stets und ständig seine Camping-Möbel, Geschirr und Wäsche einfach dort liegen ließ, wo sie gerade waren und sich sicher sein konnte, dass sie nach der Rückkehr immer noch da sind, taten wir dieses auch wiederholte Male an unserem „Stellplatz“ bei Gandia. So ließen wir auch an diesem Tag - alle Vorsicht ignorierend - unsere Stühle, den Wasserkanister und unsere Ortlieb-Box mit gut der Hälfte unserer Küchen-Utensilien dort stehen, um kurz einkaufen zu fahren.

 

Uns auf einen ruhigen Nachmittag in der Sonne vor unserem Bus freuend, kamen wir kurze Zeit später zurück und mussten feststellen, dass nichts von dem, was wir dort gelassen hatten mehr da war.

 

Verdammt! …

 

Keine Stühle mehr, keine Orangen-Presse, kein Wasserkanister, kein Topf, keine Kaffee-Becher und Besteck, beraubt um die Illusion, dass es noch Orte gibt, wo man nicht jeden Krümmel wegschließen muss - und prinzipiell auch noch selber schuld. Den Nachmittag hatten wir uns anders vorgestellt! Somit fuhren wir, nachdem wir uns ausreichend geärgert hatten, wieder dahin woher wir gekommen waren (einem riesigen Supermarkt), um uns wenigstens mit dem Nötigsten neu einzudecken.

 

Und als wir dann abends im Kreise unseres neuen Wasserkanisters, der neuen Orangen-Presse und unserer neuen Kaffee-Becher auf unseren neuen Camping-Stühlen beim Abendessen saßen, hielt auch noch plötzlich ein Lieferwagen neben uns und ein älterer Spanier in Arbeitskleidung kam - uns irgendetwas auf Spanisch zurufend - aus seinem LKW gestiegen.

 

Es schien, als sollte der Tag damit enden, dass wir zusätzlich zum Verlust unseres Inventars auch noch von unserem (zwar oftmals geduldeten, aber prinzipiell illegalen) Stellplatz verjagt werden. Umso überraschter waren wir, als der Mann seinen LKW öffnete und uns unsere gesamten gestohlen geglaubten Dinge überreichte. Er hatte, so erfuhren wir dann, jemanden dabei beobachtet, wie er unsere Sachen mitnehmen wollte, diesen dann weg gescheucht und anschließend selbst die Dinge eingepackt, um sie uns später wieder zu geben! … total verdutzt, dankbar und tief beeindruckt von seinem Handeln, ließ uns der Mann auf dem Parkplatz zurück - jetzt in Besitz eines doppelten Satzes an Stühlen und Küchen-Inventar ...

 

Da uns das Schaltjahr endlich mal wieder einen 29. Februar bescherte, konnten wir nach 4 Jahren das erste Mal wirklich den Tag feiern, an dem wir zusammengekommen sind. Welcher Grund wäre wohl besser geeignet, sich etwas Besonderes vorzunehmen?! Wir suchten uns für diesen Tag eine Klettertour durch die ca. 300 m hohe Südwand des Penon de Ifach aus. Der reine Schwierigkeitsgrad lag in einem für uns mehr als komfortablen Bereich - dafür ließen die spärlichen Informationen des Kletterführers zu dieser Tour allerdings einige nicht ganz unwesentliche Fragen offen.

 

Angeblich handelt es sich um eine „classic expedition“ - o.k., da ist schon mal das erste Wort, welches bei jedem Kletterer sofort die Alarmglocken schellen läßt: „classic“. Bei „Klassikern“ sollte man definitiv immer auf der Hut sein!

 

Des Weiteren sei es eine der Top 50 Routen, welche leider ein wenig unter der fehlenden Gesteinsfestigkeit der unteren Seillängen leidet. So, so!

 

Der Rest klang relativ präzise: Erst die Verschneidung hoch, dann links in eine große Höhle, am Höhlenrand 8 Meter abseilen, weiter nach links zu einem Stand auf einen kleinen Absatz schwingen, anschließend weiter nach links traversieren und von dort aus die letzten 3 Seillängen zum Gipfel klettern. Alles klar!

 

Na ja, zumindest fast: Die schwierigen Stellen hätten Bohrhaken, ansonsten sollte man ausgerichtet auf die persönlichen Fähigkeiten und das Komfortbedürfnis ein kleines Set an mobilen Sicherungsmitteln mitbringen.

 

Und so starteten wir nach einem stärkenden Frühstück zum Sonnenaufgang hoch motiviert und ausgestattet mit einem „kleinen Set an Sicherungsmitteln“ und dem festen Glauben an nicht allzu verrostete Bohrhaken und eingebohrte Standplätze in unser kleines Abenteuer.

 

Als wir gegen 10 Uhr am Einstiegspunkt standen, schien bereits die Sonne auf die Wand (welche übrigens laut Kletterführer erst nachmittags Sonne bekommt) und in „unserer Tour“ kämpfte sich bereits der Nachsteiger einer anderen Seilschaft in atemberaubend langsamem Tempo durch die erste Seillänge.

 

Damit hatten wir für den Tag zwei Möglichkeiten: Entweder wir kehren um und verbringen den Tag Espresso trinkend in diversen Strandcafés - oder wir starten ebenfalls in die dezent bröseligen Einstiegsseillängen, hoffen, dass die Seilschaft über uns, uns während dessen keine Routenbestandteile auf den Kopf schmeißt und versuchen diese bei passender Gelegenheit zu überholen. Die Entscheidung war schnell gefällt.

 

Die vor uns kletternde Seilschaft bestand aus zwei äußerst sympathischen Briten, die mit einer guten Portion britischen Humors gesegnet waren und die ganze Angelegenheit sehr entspannt sahen. Der Vorsteiger, der wahrscheinlich bereits auf die 70 zu ging und jede Seillänge entspannt vor kletterte und absicherte, hatte die selbe Tour vor 30 Jahren schon einmal geklettert - wo sie seiner Aussage nach, wohl auch schon total poliert (= abgetreten und somit extrem rutschig) war, und der ca. 20 Jahre jüngere Nachsteiger kletterte an diesem Tag seine, nach eigenen Angaben, schwerste Klettertour und fragte sich regelmäßig selbst warum er das eigentlich machen würde - immerhin wäre er ja gerade im Urlaub.


 

 

 

Zur Belohnung gab´s am Gipfel einen Lutscher!

 


Wir hatten an den Standplätzen einige nette Unterhaltungen, konnten tatsächlich irgendwann überholen und standen nach ca. 5 Stunden, die grandiose Aussicht genießend, auf dem Penon de Ifach.

 

Fazit des Tages: Deutlich weniger loses Gestein als befürchtet, einige stark polierte Passagen mit teils doch weiteren Abständen zwischen den Sicherungspunkten, eine ungewöhnliche Routenlinie und eine gute Prise englischer Humor bescherte uns - dank einer ausreichend großen Komfortzone beim Klettern - einen perfekten Tag!

 

 

Hungrig und vor allem durstig stiegen wir ab, fuhren mit dem Bus an den Strand und ließen den Abend in „Erkans Restaurant“ mit Tapas und einem leckeren Glas Wein ausklingen …