Wir waren zwar - auch wenn wir es nicht direkt eingeplant hatten - nicht sooo sehr verwundert in El Chalten unverhofft im Schnee aufzuwachen, aber (und vielleicht ja auch deshalb) umso erstaunter, mit welchen Worten wir nach unserer Weiterreise von Ansgars Verwandtem Stephan empfangen wurden:
„Mensch … ihr habt ja ein Wetter mitgebracht, wie es sonst im Winter herrscht. - Das ist der kälteste März seit x-Jahren, im Juni ist es hier auch nicht kälter…“
Das war, ebenso wie die 3 folgenden Regentage, nicht das was wir uns erhofft hatten, aber Wetter ist und bleibt beim Reisen (und in Patagonien erst recht) halt ein Stück weit Glückssache und so nutzten wir die Schlechtwetterphase, um Stephan und seine Nachbarn kennen zu lernen, abends in geselliger Runde Pizza-Party zu feiern, (Reise-)Geschichten auszutauschen und immer wieder hoffnungsvoll in den Himmel zu starren … in der stillen Erwartung, erste Zeichen für eine Verbesserung zu erspähen.
Ein traumhafter Blick,
aber leider überall
dunkle Regenwolken.
Einen Vorteil hatte der Wintereinbruch aber dann doch, denn selbst die niedrigen Berge vor Stephans Haus bekamen auf diesem Wege eine leichte Schneeschicht und der eh schon traumhafte Ausblick aus dem Wohnzimmerfenster sah unter diesen Bedingungen noch spektakulärer aus.
Nachdem der Wetterbericht eine erste Regenpause prophezeit hatte, packten wir sofort das Auto mit Zelt, Schlafsäcken und Proviant voll und düsten über die holprigen Schotterpisten ins Val Chacabuco. Das Val Chacabuco gehört zu einem von insgesamt 13(!) Nationalparks, die vom Bekleidungs-Multimillionär Doug Tompkins (The North Face, Esprit) errichtet und mittlerweile an die chilenische Regierung übergeben wurden. Und auch hier brachten der zusätzliche Schnee und der, vor allem über den Bergen noch bewölkte Himmel, der landschaftlichen Stimmung nicht selten noch eine weitere Prise Spannung und Dramatik.
Mystische Stimmung im
Val Chacabuco.
Beim Zusammenfluss des
Rio Baker mit dem Rio Nef
vermischt sich das leuchtend blaue Wasser des Rio Baker
mit trübem Gletscherwasser.
Die Autofähre über
den Rio Baker:
Am darauf folgenden Tag verließen wir die Infrastruktur des Nationalparks und suchten uns, nachdem wir uns die Erlaubnis der dort lebenden Bauern geholt hatten, unseren eigenen Weg über Ziegenpfade und offene Grashänge auf einen in der Nähe stehenden Bergrücken.
Was uns dort oben erwartete übertraf die Aussichten des Vortages sogar noch einmal deutlich. Am höchsten Punkt standen wir plötzlich an einem kleinen - von Bergflanke zu Bergflanke reichenden -
See und hatten einen uneingeschränkten 360° Blick auf die sich über den gesamten Horizont erstreckenden Fels- und Gletschergipfel.
"Good Morning - Patagonia!"
Zwei Tage, eine Nacht auf einem von Stephans „Top-Ten Zeltplätze“, ca. 2000 Höhenmeter Auf- und Abstieg und unzählbare atemberaubende Aussichten in die umliegenden Täler und auf die Schnee und Eis bedeckten Bergketten der Umgebung später, düsten wir dann allerdings „mit Vollgas“ wieder zurück, um noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang über dem See wieder daheim zu sein.
Die anschliessenden Touren auf die angrenzenden Berge erwiesen sich als ebenso schön, wie die Touren der Vortage und so genossen wir in unseren letzten Tage die Ausflüge in der unmittelbaren Umgebung und wagten uns - nachdem die Winde über dem See zum ersten Mal deutlich abgenommen hatten - sogar ganz spontan mit Stephans Seekajaks aufs Wasser. (Was uns als Kletterer ja ein nicht annähernd so vertrautes Element ist, wie Erde bzw. Felsen und die dazu gehörige Luft unterm Hintern.)
Ausblick auf den höchsten Berg Patagoniens:
Der Cerro San Valentin
(Mitte)
Stephans kleines Häuschen strahlt einfach eine unglaubliche Energie und Magie aus und man hat das Gefühl, dass hier sogar die Zeit stehen bleibt, um einmal inne zu halten und das Panorama zu geniessen. Und das liegt sicher nicht nur daran, dass hunderte Kilometer drum herum kein einziges Stück der Strasse asphaltiert ist.
Aber egal wie schön die entlegensten Plätze auch sind und das Entdecken von noch kleinen, untouristischen Orten einem das Reiseherz höher schlagen lässt - es macht einfach jeden Ort noch viel liebenswürdiger, spannender, faszinierender und lebenswerter, wenn man die Gelegenheit bekommt, die Menschen dort kennen zu lernen, und sich von diesen (wie dort) vom ersten Moment an herzlichst aufgenommen fühlt.
Und so machte uns, als wir heute Morgen weiter reisten nicht nur der makellose Sonnenaufgang, der uns beim Warten auf den Bus begleitete, den Abschied schwer!
Auf unserem Weg weiter nördlich mussten wir erneut die Grenze zwischen Chile und Argentinien überqueren, was in diesem Fall bedeutete, dass wir unser gesamtes Gepäck über eine Stunde lang durch die Pampa schleppen mussten, da auf dem Weg zwischen den Grenzposten der beiden Länder keine Transportmöglichkeit angeboten wird. Es scheint, als hätte man sich früher einfach nicht auf den genauen Grenzverlauf einigen können, denn die Grenzposten liegen - von ca. 5 km „Niemandsland“ getrennt - beide noch einmal jeweils 3-4 km von den angrenzenden Ortschaften entfernt.
Manchmal ist der Unterschied zwischen einem Grenzübertritt und einer Wanderung nicht so gross,
wie man meinen könnte ...
Nach weiteren 2 Tagen, die wir mit Warten (z.B. während der Siesta!), erneuten Busfahrten und „zur Abwechslung mal“ dem Aussitzen von Dauerregen verbrachten, ging es über El Bolson endlich weiter nach Bariloche.
Dort wurde uns nämlich von der Wettervorhersage eine stabile sonnige Wetterlage und von unserem Trekkingführer einige lohnende Mehrtagestouren in alpinem Ambiente versprochen.
Das Refugio Frey
liegt unmittelbar
am gleichnamigen
Klettergebiet.
Beim Eintreffen in Bariloche schwankten wir noch zwischen zwei möglichen Touren, die unsere noch verbleibenden Tage jeweils komplett ausgefüllt hätten. Leider waren beide Touren in der von uns geplanten Form zurzeit nicht machbar, so dass wir uns entschieden beide Touren - aber eben in etwas gekürzter Variante - zu laufen.
Bei der ersten Tour zum Refugio Frey hatten wir zudem Gelegenheit das viel gepriesene Klettergebiet rund um das Refugio mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Die zahllosen Felsnadeln versprechen interessante „Oldschool“-Kletterei entlang von Rissstrukturen, Verschneidungen oder über feinstrukturierte Platten. Allerdings tummeln sich in den besten Klettermonaten, nicht wie dieses Mal nur ca. zwei Duzend Menschen zur Übernachtung im Refugio - dann nämlich liegen manchmal drei Mal mehr Personen zum Schlafen in jedem Winkel des kleinen Gebäudes und es sind zusätzlich bis zu 100 Zelte auf den nahe gelegenen kleinen Ebenen aufgebaut.
Nachdem die Sonne untergegangen war, quetschten sich nahezu alle Gäste des Refugios in dem kleinen Gemeinschaftsraum auf die wenigen vorhandenen Sitzbänke und es entwickelte sich ein kreatives Durcheinander aus Sprachen (bzw. Sprach-Fetzen), Übersetzungen und Gestiken zwischen den überwiegend einheimischen und den wenigen ausländischen Gästen.
Die im deutschen Sprachraum streng beachtete Hüttenruhe (um 22:00 Uhr) ist in Argentinien gänzlich unbekannt, und so schallten die Wortfetzen und das Gelächter der Unterhaltungen noch weit nach Mitternacht durch die dünnen Bretterwände des Refugios.
Unsere zweite Wanderung führte uns dann bis an den Gletscherrand des mächtigen Cerro Tronador (der Donnerer) mit seinen drei Gipfeln - jeweils einem auf der chilenischen und auf der
argentinischen Seite und dem höchsten Gipfel auf der gemeinsamen Grenzlinie (Pico International). Den Namen „Der Donnerer“ verdient er sich dadurch, dass immer wieder Teile des
Gletschers abbrechen und das donnernde Geräusch der in einander stürzenden Eismassen bis weit über das Refugio am Fusse des Berges zu hören ist.
Im Refugio Otto Meiling hatten wir eine sehr entspannte Nacht mit gerade mal zwei anderen Frauen im Schlafsaal und zwei Zelten draußen, denn auch dort ist es in der Hauptsaison sehr viel voller. Laut dem Hüttenteam müssen sich dort dann nämlich mindestens(!) zwei Leute eine Matratze teilen ...
Bei schönen Wetter wird man an der Hütte auch schon mal von Rock-Musik empfangen, die aus den Fenster gehängten Boxen schallt.
Und so skuril es klingen mag:
An diesem Tag passte es einfach!
Wolkenhaube über dem
Cerro Tronador.
Ein überraschend geselliger Abend entwickelte sich vor unserer Abreise nach Buenos Aires im Anschluss an das gemeinschaftliche Abendessen in unserem Hostel in Bariloche. Dem bunten internationalen Mix aus Angestellten, Praktikanten, Lebenskünstlern, Kletterern und Reisenden stellte sich nämlich die Frage, was für einen Nachtisch man wohl aus einer grossen Tüte mit Bananen aus dem Supermarktcontainer machen könne und so fand sich Ansgar kurzerhand mitten in der Küche wieder und zauberte für alle Bananen-Pfannkuchen, die mit Dulce de Leche bestrichen mit das Leckerste waren, was wir in den letzten Tagen verspeist hatten.
Farbenspiel zum
Sonnenaufgang ...