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Südlich der Wolken

Voller Vorfreude und erleichtert darüber doch noch unseren Nachtbus erwischt zu haben, ging es in das auf 3300m Höhe gelegene Shangri-La  - tief in den Nord-Westen der Yunnan-Provinz,  kurz vor den Toren zu Tibet. Nachdem Kunming zwar eine sehr entspannte Großstadt war und klettertechnisch einiges zu bieten hatte, wollten wir doch endlich entdecken, warum gerade Yunnan eine der schönsten Provinzen Chinas sein soll. Und glaubte man den Kommentaren und Lobeshymnen vieler anderer Reisender, sollte vor allem Shangri-La der Höhepunkt unserer Reise werden. Berühmt für seine alpine Landschaft mit schneebedeckten Bergen und der tibetischen Kultur soll es gerade die Reisenden begeistern, denen es nicht möglich ist nach Tibet einzureisen.



Mit der Erwartung eines der schönsten Fleckchen Erde zu erkunden - genau genommen wurde das ehemals „Zhongdian“  heißende Dörfchen nämlich 1933 nach einem fiktiven, paradiesischen Ort einer Novelle des  Schriftsteller James Hilton in Shangri-La umbenannt - stiegen wir morgens früh aus dem Bus. Das „verschlafene Örtchen“ entpuppte sich allerdings schnell als eine bereits moderne größere Stadt mit einer sehr kleinen, traditionellen Altstadt, die aufgrund eines Feuers im Januar 2014 fast vollständig zerstört ist und nur noch wage erahnen lässt, wie schön die tibetischen Schnitzereien an den alten Häusern ausgesehen haben müssen.

 

Auch die alpine Berglandschaft, die die Stadtgrenzen umrundet, gleicht eher einer Ansammlung von Hügeln, von denen lediglich eine sehr weit entfernte Bergspitze der Umgebung einen Hauch von Schnee entdecken ließ. Was uns aber vom ersten Moment an beeindruckt hat, ist dass man hier noch sehr viele in traditionellen Gewändern gekleidete Bewohner trifft, die einem einen lebendigen Vorgeschmack auf die überwältigende Kultur Tibets geben.

 

Vom ersten Eindruck dieser paradiesisch beschriebenen Stadt eher enttäuscht, suchten wir uns ein kleines lokales Restaurant, um die kulinarischen Highlights der hier lebenden Menschen ausgiebig unter die Lupe zu nehmen. Nach einer ganzen Kanne gut gesalzenem Yak-Butter-Tee, einem frisch gebackenen Riesenfladenbrot und einer erheiternden und warmherzigen Hände-Füße - und jetzt ja sogar ein bisschen Chinesisch - Kommunikation beschlossen wir, uns zwei Fahrräder auszuleihen und die umliegende Gegend etwas genauer zu erkunden, um „ dem Zauber“  Shangri-Las eine zweite Chance zu geben.

 

Unser Hostel Papa empfahl uns eine Tour zum 15km entfernten Napa Lake und so radelten wir (noch nicht an die Höhe akklimatisiert) schnaufend Berge rauf und runter über breite betonierte Straßen, vorbei an vielen Baustellen und einigen schönen Feldern mit grasenden Yaks an unser Ziel. Der groß beworbene See ist allerdings, was uns unser Hotel-Papa leider verheimlicht hat, zu dieser Jahreszeit kein See mehr - sondern vielmehr eine fast ausgetrockneten Pfütze …


 

 

Grasender Yak am Seeufer.


Befreit man das ehemals kleine tibetische Örtchen von dem Hype und Klischee das Paradies auf Erden zu sein und hat es geschafft die staubigen Baustellen rund um die Stadt hinter sich zu lassen, bekommt man dennoch einen ersten Vorgeschmack vom landschaftlichen Charakter und Charme der Yunnan-Region.

 

Aufgrund bereits auflodernden Kletterentzugs, setzten wir kurz entschlossen die Tigersprungschlucht ganz hinten auf unsere Prioritätenliste und machten uns auf nach Liming - "dem" Trad-und-Riss-Kletter-Mekka Chinas. Die fünf stündige Busfahrt von Shangri-La dorthin war unkomplizierter als gedacht und überraschte uns über die gesamte Dauer mit einem Panorama-Blick, der unseren zuvor aufkeimenden Zweifel an der einzigartigen  Schönheit der Yunnan-Provinz im Keim ersticken ließ.



Vorbei an grünen Feldern und kleinen Dörfchen öffnete sich die Landschaft und gab den Blick auf zum Teil 5000m hohe, schneebedeckte Berge frei, und als diese wieder aus unserem Blickfeld verschwanden, dauerte es nicht lange bis vor uns die bewaldeten Berge und roten Sandsteinwände Limings auftauchten, welches schon allein von der Rücksitzbank unseres Busses aus, genau unseren Vorstellungen entsprach.

 

Liming - was übersetzt so viel wie Morgengrauen oder Tagesanbruch heißt - liegt inmitten des Loajunshan National Park und ist so klein, dass es nur aus einer einzigen Straße mit einigen Geschäften, Restaurants, einem kleinen Marktplatz und natürlich den Häusern der Dorfbewohner besteht.



Doch nicht nur in landschaftlicher Hinsicht wurden unsere Erwartungen mehr als erfüllt - auch das Klettern, und da vor allem die Herausforderung sich gänzlich neue Bewegungsmuster und (teilweise schmerzhafte) Techniken anzueignen, sollte uns wahrlich nicht „enttäuschen“.

 

Sind wir doch schon in dem Bewusstsein nach Liming gereist, dass wir dort – aufgrund fehlender Riss-Kletter-Erfahrung - wohl erst einmal etwas kleinere Brötchen backen müssen als gewohnt, so fühlte es sich tatsächlich meistens eher so an, als würden wir das Klettern von Grund auf neu erlernen müssen. Die blanken Risslinien, die sich wie Narben durch die Wände ziehen, ohne jegliche Tritte oder andere Griffe,  zwingen einen förmlich zu Ring-Locks, Finger- und Hand-Jams und dazu, auch noch seine Füße seitlich in die Risse zu stecken und so lange zu drehen, bis der Halt gut genug ist, um den Körper weiter nach oben zu drücken … es scheint als wäre eine gewisse Portion Leidensfähigkeit beim Riss-Klettern durchaus von erheblichem Vorteil.


 

 

jia you* ...

let's climb some cracks!

 



Nach einigen demütigenden ersten Tagen und jeder Menge neu erlernter Techniken fand  jeder von uns heraus, welche Rissbreite für einen selbst die angenehmste ist - also „perfekte“ Handjam-Breite hat. Bereits geübte Riss-Kletterer behaupten beharrlich, dieses seien per se perfekte „Henkel“  (= unter Kletterern ein Synonym für riesige, gut festzuhaltende Griffe). 

Je nach Rissbreite kann das Ganze dann viel Spaß machen und sich sogar richtig nach klettern anfühlen, oder eben auch eine ziemlich schmerzhafte, anstrengende und manchmal auch frustrierende Angelegenheit werden.

 

Hier glühen einem nach einigen Klettertagen nicht nur die Unterarme -  nein, der ganze Körper fühlt sich an, wie nach einer Schlägerei und sieht an manchen Stellen auch genauso aus ...





 

 

Rechts im Bild eine traditionelle Leiterkonstruktion der Lisu, um Honig aus Bienennestern zu pflücken!

 


Neben all seinen Körperteilen muss man zu allem Überfluss (als wäre man mit den ganzen neuen Techniken nicht schon genug beschäftigt) zudem während des Kletterns auch noch mobile Sicherungsmittel wie z.B. Camalots  in den Riss stecken. Glücklicherweise ist aber im hiesigen Guidebook angegeben, welche Gear-Größe und Anzahl man benötigt. So werden zumeist häufige Anfängerfehler wie viel zu viel und / oder  überwiegend das falsche Gear an den Gurt zu hängen, verhindert - oder sagen wir mal erheblich minimiert. Hat man dann gefühlte 100 kg mehr am Gurt hängen als sonst und den Körper Mumiengleich getapet, kann es auch schon losgehen … von Fingerrissen über Off-Width bis zu Kamin und Verschneidungskletterei ist alles vorhanden und glaubt man den Meinungen einiger weitbereister Kletter-Profis, die bereits in Liming waren (z.B. Matt Segal oder Cedar Wright), so steht dieses Gebiet den bekannten Destinationen wie z.B. Indian-Creek  oder Zion Nationalpark  in Nichts nach.



Wenn man also Lust hat mit viel Spass neue Bewegungsmuster und Techniken zu erlernen - und vor grandioser Kulisse jeden Tag aufs Neue herausgefordert zu werden, ist man hier genau richtig ...



Mike Dobie, der Haupterschließer Limings, erzählte uns von mehr als einem Fall, wo wirklich starke Sportkletterer (solider 10ter Grad UIAA = 5.13c und schwerer) in 5.9 Risslinien („solide“ 6- UIAA ;-)) so „jämmerlich versagten“, das sie nach wenigen Tagen frustriert ihr Trad-Gear verkauften und Liming in Richtung gewohnter Kalkstein-Sportkletterei wieder verließen. Selbst wenn nur die Hälfte dieser Geschichten stimmt, dürfen wir uns wohl - ob unserer Fortschritte und Performance - mit gutem Gewissens mal kräftig auf die eigenen Schultern klopfen!

 

Fast ebenso spektakulär wie die Kletterei ist der alle zehn Tage stattfindende Markt in Liming. In Liming leben überwiegend Angehörige der Lisu  und gerade an Markttagen tragen die meisten Frauen und Kinder dort ihre bunten traditionellen Jacken, Röcke und Hüte.





Neben dem Verkauf von allerhand Kleidungen, Küchenutensilien und natürlich kulinarischen Köstlichkeiten, werden dort auf der Straße sogar Zahnprothesen angepasst und scheinbar ist an Markttagen Bier oder Baijiu (Reisschnaps) ein fester Frühstücksbestandteil der Marktbesucher.

 

Immer auf der Jagd nach ein paar schönen Fotos, wollte Ansgar eine Gruppe Dorfbewohner fotografieren, wurde von diesen prompt herbei gewunken und schon bald fanden wir uns in Mitten der Gruppe in einem kleinen Laden wieder, in dem aus großen Glasbehältern mit Kräutern und Früchten versetzter Baijiu ausgeschenkt wurde … der nach der Meinung der Damen und Herren im Übrigen sehr gut für die Nieren und Muskeln sei!



Glücklicherweise schafften wir es aber - nachdem wir brav 2 Tassen der lokalen Köstlichkeit getrunken hatten - weiter zu ziehen. Und dank einer anschließenden guten Tasse Kaffee konnten wir den Rest unseres Tages ohne größere Bewußtseinstrübung verbringen!



Südlich der Wolken* = Übersetzung des Begriffs "Yunnan"

 

jia you* = chin. Anfeuerungsruf / wörtlich: "gib Öl dazu!"