Endlich war es soweit! Nach unserem (vorerst) letzten Arbeitstag nahmen wir uns erstmal noch einen weiteren Tag Zeit, um in Ruhe unseren Bus zu beladen und starteten anschliessend zu unserem zwei monatigen Kletter-Roadtrip durch Bosnien und Herzegowina (BiH) und Kroatien.
Nach einer kurzen Zwischenübernachtung in Sobrio (Tessin) fuhren wir weiter in Richtung Triest, welches direkt an der slowenischen Grenze gelegen ist. Dort wollten wir nämlich eigentlich - begleitet von ein paar leckeren Espressi - einen ersten gemütlichen Nachmittag in der Sonne verbringen …
Ein sich über den ganzen Tag hinziehendes heftigstes Gewitter veranlasste uns jedoch recht schnell dazu, unsere Pläne zu ändern und anstatt dessen direkt weiter nach Banja Luka in Bosnien und Herzegowina (Republika Srpska) zu fahren. Die schwarzen Gewitterwolken begleiteten uns allerdings leider auch während unserer Autofahrt beharrlich und die Regenmenge war zum Teil so stark, dass wir aufgrund der schlechten Sicht nur noch mit ca. 40 km/h über die Autobahn schleichen konnten und zwischenzeitlich sogar überlegten, ob wir an einem Rastplatz halten sollten, um das Gewitter vorbeiziehen zu lassen.
Irgendwann hatten wir dann aber doch das schlechte Wetter und die Warteschlange am kroatisch-bosnischen Grenzübergang hinter uns gelassen, und kamen im Dunkeln der Nacht auf dem ca. 20 km südlich von Banja Luka gelegenen Vrbas Camp an.
Da das Camp laut Internet ein 24h-Check-In haben sollte, machten wir uns auch keine Sorgen wegen unserer späten Ankunftszeit und bogen dementsprechend erwartungsvoll in die völlig dunkle Einfahrt des Camps. Das Camp machte sofort einen sehr gemütlichen und sympathischen Eindruck, da es eigentlich nur aus einer grossen - unmittelbar am Fluss Vrbas gelegenen - Wiese bestand und bis auf zwei vereinzelte Autos komplett leer war. Allerdings war auch das einzige Gebäude des Camps komplett dunkel und so waren wir fast etwas verwundert, als bei unserem Näherkommen plötzlich ein älterer Mann die Türe des Gebäudes öffnete.
Er sah uns mit einer Mischung aus Verwunderung und Uninteressiertheit an, murmelte irgendetwas uns Unverständliches und zeigte dabei mit einer Handbewegung in Richtung Wiese. Damit schienen die Check-In Formalitäten für diesen Abend erledigt zu sein, wir folgten der Aufforderung unseres Gastgebers indem wir uns ein ebenes Plätzchen direkt am Fluss suchten und kuschelten uns wohlverdient unter unsere Bettdecke …
Ein erster Blick bei Tageslicht auf die Umgebung unseres Schlafplatzes.
Da für den nächsten Tag leider erneut Regen gemeldet war, nutzten wir den frühzeitigen Ruhetag um nach Banja Luka zu fahren, uns die Stadt
anzuschauen und einige Besorgungen zu machen. Ausserdem mussten wir uns eh noch bei der Polizei anmelden, wobei uns der Sinn zwar nicht so ganz klar war, da ja der Zoll unsere Einreise bereits
registriert hatte - aber wenigstens hielt sich der bürokratische Aufwand in Grenzen und dank der hilfsbereiten Bankangestellten mussten wir den ausschliesslich in kyrillisch beschrifteten
Überweisungsträger auch nicht selber ausfüllen, so dass wir sicher sein konnten, dass unsere Registrierungsgebühren auch da landeten, wo sie hin sollten.
Glücklicherweise wurde das Wetter am nächsten Tag endlich besser und wir konnten aufbrechen um uns die ersten Klettergebiete aus der Nähe anzuschauen. Nur etwa 5 Auto-Minuten vom Camp entfernt befindet sich der grosse Tijesno Canyon mit fast 60 MSL Touren und seinem "Juwel", dem Amphitheater - einer riesigen, leicht Kesselförmigen überhängenden und dazu beinah strukturlos erscheinenden Wand, die über die gesamte Breite Routen mit bis zu 3 Seillängen bereit hält.
Wer im Herzstück des Amphitheater klettern möchte, sollte solide
im mittleren 8ten Franzosengrad
unterwegs sein.
Zusätzlich gibt es in unmittelbarer Umgebung des Canyons einige Sportklettersektoren, von denen uns der Bereich Kameni Most der lohnendste zu sein schien.
Ungeduldig, uns nach den schlecht-Wetter Tagen endlich wieder die Arme lang zu ziehen, gingen wir daher erst einmal Sportklettern. Alle Zustiege und Sektoren sind sehr liebevoll eingerichtet und gespickt mit kleinen Hinweistafeln, so dass man eigentlich keinen der Felsen verfehlen kann. Kameni Most bedeutet übersetzt Steinbrücke und tatsächlich gibt es sogar zwei Routen, die direkt durch den riesigen Überhang eben dieser namensgebenden Steinbrücke führen.
Diese Steinbrücke hat dem Sektor "Kameni Most" seinen Namen gegeben.
Zudem erwarten einen dort ca. 50 Routen von 5a bis 8a - von eher plattig bis gerader Wandkletterei und sogar leicht überhängenden Touren. Meckert man in vielen beliebten Sportklettergebieten eher darüber, dass schon alles abgespeckt ist (Kletterjargon für "Der Fels wurde durch viele Begehungen glatt poliert und ist nun sehr rutschig!"), kommt man sich hier aufgrund des teilweise noch sehr scharfen Felsens fast wie ein Erstbegeher vor und muss gehörig aufpassen sich nicht schon am ersten Tag die Fingerhaut zu ruinieren!
Erstaunlicherweise haben wir direkt am ersten Tag noch ein paar weitere deutsch-sprachige Seilschaften getroffen. Und vielleicht liegt es ja daran, dass das Reisen durch BiH noch etwas "off the beaten Track" ist und die Klettergebiete hier noch eher unbekannt sind, aber an den Felsen und auf den Campingplätzen (bzw. inoffiziellen Wiesen) herrschte durchgehend vom ersten Moment an eine offene und freundschaftliche Atmosphäre, die man so leider nicht mehr allzu häufig antrifft. Während man in einigen anderen Orten schon fast froh sein muss, wenn man überhaupt (zurück)gegrüsst wird, ist man hier direkt mit jedem im Gespräch und tauscht sich über die Kletterrouten, die Umgebung, die Reiseroute, Wasch- und Duschmöglichkeiten oder auch mal ganz banal "das Leben an sich" aus.
Spätestens am abendlichen Kaminfeuer, wo besonders am Wochenende die Einheimischen, - inklusive des Camp Chefs (einem Neffen des Mannes, bei dem wir "eingecheckt" hatten) - laut und lange feierten, wurden wir dann mit selbstgebranntem Sljivovica (Pflaumenschnaps), reichlich Pivo (Bier) und köstlichem Essen "kulturell" integriert.
Soweit es möglich war unterhielten sich dabei alle durcheinander in den Brocken Deutsch und Englisch die zur Verfügung standen, oder behalfen sich mittels Gestiken, um sich verständlich zu machen. Und in Phasen in denen die laute Musik sowieso jede Kommunikation unmöglich machte, lehnten wir uns entspannt zurück, beobachteten wie laut mitsingend (nicht nur sprichwörtlich) über Tische und Bänke getanzt wurde und liessen uns hin und wieder von Shazam die aktuellen Interpreten anzeigen.
Man geht nicht nach dem Klettern zum Kaffeetrinken, Kaffeetrinken ist integraler Bestandteil des Kletterns.
Nach ein paar weiteren Klettertagen im Tijesno Canyon fuhren wir dann weiter ins gut 1,5 Autostunden entfernt liegende kleine Dorf Pecka.
Das sogenannte "Margalef Bosniens" wartet mit einer riesigen einsamen Wiese zum Campieren und vor allem mit einem unendlich erscheinenden Riegel an vorwiegend löchrigen Konglomeratfelsen auf und erinnert tatsächlich stark an das spanische Top-Gebiet Margalef. Zumindest wenn man sich vorstellt wie Margalef wohl vor 20 Jahren ausgesehen haben mag, denn viele der Felsabschnitte weissen aktuell erst einige wenige Routen auf und an Potential für Neuerschliessungen wird es hier in den nächsten Jahren sicherlich nicht mangeln.
Kaum Infrastruktur -
aber dafür ganz alleine!
Feinster bosnischer
"Loch-Käse" nach "Margalefer Art".
Pecka kann zwar nicht annähernd mit der Grösse und Routenauswahl seines spanischen "Konkurrent" mithalten, lässt ihn dafür aber in Punkto Landschaft und Abgelegenheit weit hinter sich.
Während man in Margalef ohne Anstrengung, die Abende bei kaltem Bier und Snacks in einer gemütlichen Kneipe verbringen kann und auch sonst jegliche Infrastruktur in unmittelbarer Reichweite hat, ist - zumindest wenn man in direkter Nähe der Felsen auf der Wiese campiert - schon die Beschaffung von Trinkwasser ein kleiner "Staatsakt". Dieses bekommt man zwar problemlos z.B. beim Pecka Visitor Center, von dort aus muss man dann aber entweder jedes Mal ca. 5 km über eine enge Schotterstrasse fahren, die teilweise mehr Schlaglöcher als Fahrbelag hat und auf der z.B. eine entgegen kommende Pferdekutsche zur echten Herausforderung werden kann - oder man trägt die Wasserbehälter ca. 1,5 km durch den Wald bergauf vom Visitor Center zur Camping-Wiese.
Belohnt wird man für diese kleine "Umständlichkeit" dafür allerdings mit einem unbeschränkten Blick über die endlos erscheinenden Wiesen - und Waldebenen, absoluter Ruhe oder z.B. einem romantischen Lagerfeuer unter dem Sternenhimmel ohne die kleinste Lichtverschmutzung durch Laternen, Wohnhäusern oder gar Werbetafeln.
Während des Wochenendes gab der Chef des Visitor Centers zusammen mit einem der "Pilz-Koryphäen" Bosniens einen Workshop im Pilze sammeln und da - wie wir in diesem Zusammenhang erfuhren - die örtliche Umgebung die grösste Anzahl und Vielfalt an Pilzen in Europa aufweist, stapelten sich am Abend unvorstellbare Berge an frischen Pilzen auf den Tischen des Visitor Centers und wir konnten eine Einladung zum Abendessen natürlich unmöglich ablehnen. Zumal uns dieses die Gelegenheit gab, einige interessante Informationen zum Thema Pilze zu erhaschen und uns in gemütlicher Atmosphäre mit den anwesenden Bosniern auszutauschen.
Und so pilgerten wir dann schlussendlich auch am darauffolgenden Tag wieder im Schein unserer Stirnlampen den Waldpfad entlang und genossen u.a. traditionelle bosnische Maisfladen, selbstgebackenes Brot und diverse Pilzgerichte, wie z.B. einem "Gulasch" aus 10 verschiedenen der zuvor gesammelten Pilzsorten.
Schweren Herzens wird es für uns nun Zeit diesen wundervollen Ort wieder zu verlassen und Richtung Sarajevo und Sutjeska Nationalpark weiter zu ziehen. Die weite einsame Landschaft und die Gastfreundschaft der Menschen machen Pecka aber sicherlich schon jetzt zu einem der Highlights unserer Balkan-Reise!