· 

Rosen von Sarajevo

Eigentlich wollten wir ja schon mittags in Sarajevo eingetrudelt sein - allerdings scheint man das Wort "eigentlich" in diesem Zusammenhang im bosnischen Strassenverkehr relativ häufig verwenden zu können, denn es gibt kaum Autobahnen und so schlängelt man sich meist "nur" über enge kurvige Landstrassen durch die wunderschöne Landschaft. Das verhilft einem zwar zu einem deutlich entschleunigten Reiseerlebnis, bedeutet jedoch auch, dass man für Strecken von ca. 200 km schnell mal vier Stunden Fahrzeit benötigt.

 

In Sarajevo angekommen, fanden wir nach einer kleinen Irrfahrt durch steile enge Gässchen schliesslich doch noch den von uns ausgesuchten Campingplatz, welcher malerisch hoch über den Dächern der Stadt liegt, und starteten nach einer kleinen Stärkung zu Fuss auf unsere erste Erkundungstour in die Innenstadt.




Sarajevo ist eine Stadt voller Geschichte, die einem selbst schon beim Stadtbummel durch die orientalisch anmutenden Gassen jederzeit allgegenwärtig ist. Vom Campingplatz kommend überquert man die Lateinerbrücke, an der 1914 ein Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau verübt wurde und das als Auslöser für den 1. Weltkrieg gilt. Und entfernt man sich nur ein wenig von der restaurierten Altstadt, findet man noch immer viele Häuserfassaden, die gesprenkelt sind von den Einschusslöchern des Krieges, dessen Ende heute nicht einmal 25 Jahre her ist.

 

Man sollte auf jeden Fall - trotz des geschäftigen Trubels - bei seinem Stadtbummel aufmerksam um (bzw. unter) sich schauen. Dann nämlich merkt man schnell, wie häufig man über eine der über hundert noch existierenden sogenannten "Rosen von Sarajevo" läuft.

 

Diese mit rotem Harz gefüllten ehemaligen Granateneinschläge sehen durch ihre Form dem Bild einer Rose tatsächlich sehr ähnlich. Auf diese Art wurde von den Bürgern Sarajevos ein Teil der zigtausend Granatenschäden zur täglichen Erinnerung an die zivilen Opfer des Krieges erhalten.


 

 

Eine "Rose von Sarajevo"

im heutigen Einkaufszentrum

der Stadt.


 

 

Nicht nur die Ereignisse rund um das Massaker von Srebrenica waren Auslöser von scharfer Kritik an der UN ...


Dass die Erinnerung an vergangene Gräueltaten und Kriegsschrecken auch in der heutigen Zeit nichts von ihrer Wichtigkeit verloren hat, beweist nicht nur der Alltag der hier lebenden Menschen, der noch immer von den zum Teil tiefen emotionalen Gräben zwischen den verschiedenen Volksgruppen geprägt ist.

 

So existieren z.B. in der Stadt Mostar, dessen multiethnische Gesellschaft durch den Krieg zerrissen wurde, noch immer zwei völlig unabhängig voneinander agierende Infrastrukturen. Zwei Schulsysteme, zwei Bushaltestellen, zwei Krankenhäuser … einmal für die bosnisch muslimische, und einmal für die christlich kroatisch stämmige Bevölkerung (*). Und auch die politische Struktur des übrigen Landes spiegelt diese Zerrissenheit deutlich wider. Zumindest einige Politiker der Region Srpska streben noch immer nach der Angliederung an Serbien und machen ebenso wie die übrigen 10 autonom agierenden Kantone des Landes Bosnien und Herzegowina mit ihrer separatistischen Haltung die Entwicklung einer gemeinsamen Politik unmöglich.

 

Denn so wie in den meisten Ländern in und ausserhalb Europas spielen auch hier ein Grossteil der Politiker aller Lager mit Vorliebe die nationalistische Karte, wenn es darum geht Wählerstimmen zu sammeln und mit dem Schüren von Hass und Neid vom eigenen Versagen abzulenken.


 

 

Die Zerstörungen des Krieges ist auch heute an vielen Orten noch allgegenwärtig ...


 

 

... ebenso wie die Bedrohung durch Minen, da noch immer nicht alle Gebiete geräumt werden konnten.


Wie schon in anderen Ländern zuvor, war auch jetzt das Reisen für uns eine willkommene Gelegenheit, um wenigstens ein paar unserer Wissenslücken zur Zeitgeschichte zu verkleinern. So besuchten wir zahlreiche Ausstellungen, lasen Artikel und versuchten die Entstehung und den Verlauf der verschiedenen kriegerischen Konflikte nach dem Zerfall Jugoslawiens nachzuvollziehen.

 

Von einem wirklich fundierten Geschichtswissen sind wir leider natürlich auch jetzt noch weit entfernt - und so dominiert ("einmal mehr") die emotionale Ohnmacht über die Tatsache, dass all die hilfsbereiten und freundlichen Menschen, die wir auf unserer Reise kennengelernt haben, sich untereinander oftmals mit Missgunst oder Hass begegnen, nur weil sie eine andere religiöse Überzeugung oder Volkszugehörigkeit haben.


Ob diese Feindschaften und Grossmachtfantasien jedoch wirklich im Herzen der Menschen verankert sind, oder hauptsächlich von Politikern für persönliche Zwecke geschürt und ausgenutzt werden, ist eine der vielen für uns noch unbeantworteten Fragen …




Von Sarajevo aus fuhren wir weiter zum Sutjeska Nationalpark. Der im Nationalpark direkt auf der Grenze zu Montenegro gelegene 2386 m hohe Mt. Maglic hatte als höchster Berg Bosniens und Herzegowinas schon während der Reiseplanung unser Interesse geweckt. Spätestens aber seit uns von verschiedenen Personen im Pecka Visitor Center vom Maglic und den ebenfalls im Nationalpark beheimateten letzten Urwäldern Europas vorgeschwärmt wurde, stand ein Abstecher dorthin fest auf unserer To-Do-Liste.

 

Wieder einmal unterschätzten wir den Kurvenreichtum unseres Weges und vor allem die letzten sich über 15 km hinziehenden 1000 Höhenmeter zum Ausgangspunkt unserer Wanderung auf den Maglic, sorgten mit ihren zum Teil die halbe Strasse einnehmenden "Schlaglöchern" für ein ganz besonderes Fahrerlebnis.

Doch nach einer guten Stunde im ersten Gang mit unzähligen Schlenkern vom rechten zum linken Strassenrand (und wieder zurück) wurden wir mehr als belohnt.

 

Wir erreichten das Innere des Nationalparks gerade noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang und die weichen, leuchtenden Farben der herbstlichen Wald - und Wiesenflächen liessen uns die mühsame Anfahrt schnell vergessen.



 

 

Dieser Schlafplatz lässt

keine Wünsche offen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Es führen mehrere Wege auf den Maglic und wir hatten geplant über den kürzesten (aber auch steilsten) Weg aufzusteigen und anschliessend über den Rundweg, vorbei am auf der montenegrinischen Seite gelegenen Trnovacko Jezero, wieder zu unserem Bus zurückzukehren.

 

Die Informationen bzgl. der zu veranschlagenden Gehzeit (besonders hinsichtlich des Aufstiegs) und die Charakterisierung des Weges schwankten zum Teil erheblich und von 2 bis 4 Stunden Gehzeit, sowie Einstufungen zwischen Wanderweg und herausfordernd steilem Klettersteig war so ziemlich alles in den Beschreibungen zu finden. Der Rückweg war dagegen relativ einheitlich mit 4 - 5 Std. angegeben und so beschlossen wir grosszügig zu kalkulieren und schon bald nach Sonnenaufgang zu starten, um uns keine Sorgen hinsichtlich des Tageslichts machen zu müssen.

 

Bereits 1,5 Std. nach dem Aufbruch standen wir am Gipfel des Maglic und freuten uns darüber, dass der Berg - der manchmal auch als "Misty Mountain" bezeichnet wird, weil er wohl die meiste Zeit des Jahres seinen Gipfel mit Nebel verhüllt - einen spektakulären 360 Grad-Fernblick für uns bereithielt.


 

 

Auf dem Gipfel des Maglic




 

 

Übernachtungsmöglichkeit

direkt am Trnovacko Jezero


Zurück am Ausgangspunkt packten wir zügig unsere Sachen zusammen und beschlossen den verbleibenden Nachmittag zu nutzen, um nach Mostar, bzw. genauer gesagt zum dort nahegelegenen Klettergebiet Blagaj weiterzufahren.

 

Mostar ist vor allem für die "Stari Most" (bosnisch für "Alte Brücke") bekannt, die seit seiner Erbauung als Meisterwerk der damaligen Ingenieurbaukunst galt und seit Jahrhunderten die Verbindung zwischen Ost und West symbolisierte, da sie den durch den Fluss Neretva getrennten bosnisch muslimisch geprägten Ostteil und den eher kroatisch dominierten Westteil der Stadt miteinander verband. Nach Ende des Krieges wurden die zerstörten Überreste der Brücke für 15 Mio. Euro wiederaufgebaut und heutzutage schieben sich täglich beachtliche Touristenmassen durch die engen Gassen von Mostar, um sich auf der neuen Stari Most fotografieren zu lassen.




Die Kletterfelsen rund um Blagaj liegen ca. 15 km östlich von Mostar und sind vom Eco Center Blagaj aus bequem fussläufig zu erreichen. Zumindest diejenigen, die nicht direkt in der Schlucht liegen - der Zustieg dorthin besteht nämlich aus einem Klettersteig und macht ein komplettes Klettersteigset nötig (welches man sich allerdings problemlos beim Eco Center ausleihen kann).

 

Das Camp bietet eine schnörkellose Infrastruktur mit dem Nötigsten und die abwechslungsreiche Kletterei hätte uns sicher noch deutlich länger dortbleiben lassen, wenn nicht ausnahmslos alle interessanten Sektoren Südausrichtung gehabt hätten. Denn noch immer zeigte sich nicht die kleinste Wolke am Himmel und die direkte Sonneneinstrahlung machte jegliche Aktivität an den Felsen nach 11:00 Uhr absolut undenkbar. Um überhaupt etwas machen zu können, standen wir schliesslich morgens so früh auf, dass wir unmittelbar bei Tagesanbruch losziehen und so bis zum Mittag wenigstens ein paar Routen klettern konnten.

 

Da wir während der restlichen Tageszeit jedoch zum Nichtstun verdammt waren entschlossen wir uns recht bald nach Kroatien weiterzufahren und uns dort auf die Suche nach ein paar schattigen Kletterspots zu machen. Sehr gerne hätten wir noch mehr Zeit in diesem tollen Land mit seinen gastfreundlichen Menschen und der weiten oft noch unberührten Natur verbracht! - Aber für einen Klettertrip war das Wetter dieses Mal schlicht "zu gut".


Unsere Zeit in Bosnien und Herzegowina hat auf jeden Fall die Lust geweckt mehr von diesem spannenden Land zu entdecken! Und Gründe zurück zu kommen haben wir jetzt reichlich …




* Informationsstand: 2017

 

** Der Link zu einem Artikel heisst natürlich nicht,

     dass wir jede Aussage zu 100% teilen.