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Tajine-Masterclass

Etwas schlauer von den letzten längeren Fahrstrecken - und um die Erkenntnis reicher, dass man immer mindestens 2-3 Stunden länger braucht, als das Navi ausrechnet - planten wir mit Karte, Internet und Bauchgefühl unsere Weiterreise zur Todra-Schlucht und kamen schliesslich zu der Überzeugung, die Stecke locker bis am späten Nachmittag meistern zu können. Doch auch diese Fahrzeit-Kalkulation erwies sich als zu optimistisch und so kamen wir (Marokkos Strassen belehren einen halt doch immer eines Besseren) erst mit Einbruch der Dunkelheit, nach ca. 9 Fahrstunden, in der Gorge du Todra an.

 

Nach einem schnellen Zwischenstopp bei einem kleinen Supermarkt in Tinghir, in dem wir die seltene Gelegenheit nutzten, um eine Flasche marokkanischen Rotwein zu ergattern, ging es auf direktem Weg weiter, um uns etwas ausserhalb des Ortes nach einem Schlafplatz umzusehen.



Da uns das Campieren direkt in der Schlucht aufgrund der hohen Frequenz an Reisebussen und Touristengruppen nicht besonders attraktiv erschien, landeten wir nach kurzer Zeit auf einem wunderschönen - und zu diesem Zeitpunkt komplett leeren - kleinen Campingplatz, welcher sich nur einige Autominuten vor dem Eingang der Schlucht am Rande eines dicht mit Dattelpalmen bewachsenen Gartens befand. Auf dem Campingplatz wurden wir herzlich von zwei Brüdern begrüsst, die sich sichtlich freuten nicht mehr alleine auf ihrem Platz zu sein - und wir wiederum freuten uns sehr zu hören, dass es noch Tajine zu Abendessen gab.

 

So gut wie dort hatten wir seit der Taghia nicht mehr gegessen und so beschlossen wir - da unsere Oukaïmeden Gemüsereserven eh bereits aufgebraucht waren und auch unsere Gasvorräte so langsam zu neige gingen - uns es hier so richtig gut gehen zu lassen.

 

Rachid und Azzedine entpuppten sich zudem als die besten Gastgeber, die man sich vorstellen kann. Die zwei kochen nicht nur begnadet, sondern kümmern sich wortwörtlich in jeder freien Minute um das Wohlergehen ihrer Gäste und so muss man sich nicht wundern, wenn man nach dem eigenen Abendessen noch zu ihnen an den Tisch gebeten wird um einen Tee zu trinken oder eine weitere Tajine - dieses Mal in Berber-Style* zu essen.

 

Jeden Abend nach dem Klettern wird man von den Beiden erst einmal unter die (durch einen Holzofen angeheizte) heisseste Dusche Marokkos geschickt und anschliessend fühlt man sich wie nach einem Hammam Besuch.

Bereits nach kurzer Zeit fühlten wir uns dort wirklich wie zuhause und so erschien es schon fast wie ein Selbstläufer, dass wir Azzeddine nun jeden Abend in der Küche über die Schulter gucken durften und so die Zubereitung der wichtigsten Klassiker der Marokkanischen Küche beigebracht bekamen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Berber-Style = Rachids und Azzeddines Eigenbezeichnung für die traditionelle Art des Tajjine-Essens mit Fingern und Fladenbrot.

 

 

 

 

 

 


 

Tajine-Examen bestanden!


Einzig das Kochen von Couscous und die Herstellung der Pfannkuchen-artigen Teigfladen wurde von ihrer Schwester Fatima und ihrer Mutter übernommen.

 

Nachdem wir eines Abends von einem ausgiebigen Spaziergang in den schattigen, sehr sauberen, ruhigen und oasenartigen Gemüsegärten, welche sich am Flusslauf den gesamten Weg bis nach Tinghir (ca. 8 km) entlang ziehen zurückkamen, begrüsste uns Rachid mit den Worten, dass wir heute keine Zeit zum Duschen hätten, da Fatima und seine Mutter uns zeigen möchten, wie sie Couscous machen.

 

Die zwei Frauen freuten sich riesig über unseren Besuch und wirkten sichtlich stolz, das erste Mal in ihrem Leben zwei Touris in ihrer Küche begrüssen zu dürfen. Bis zu diesem Tag gingen wir immer davon aus, dass Couscous kochen eher was für Tage ist, an denen man weniger Zeit hat … Wasser kochen, Couscous rein, paar Minuten warten, fertig.

Aber dieser Gedanke gleicht ein wenig unseren Fehleinschätzungen hinsichtlich der Fahrstrecken in Marokko. Der Couscous wird nämlich für ca. 30 Minuten über Wasserdampf gedünstet, anschliessend durchmischt und wahlweise dabei mit etwas Butter vermengt - dieser Vorgang wiederholt sich dann noch weitere zwei Mal!


 

Entlang eines Flusses zieht sich eine kilometerlange fruchtbare Oase durch die sonst eher karge Landschaft.


Neben Rachids und Azzedines Gastfreundschaft gibt es aber noch weitere gute Gründe, um nach Tinghir zu fahren.

 

Wenige Kilometer hinter dem Campingplatz beginnt die Todraschlucht, eine beeindruckenden ca. 3 km lange Schlucht, welche an ihrer engsten Stelle gerade einmal 10m breit ist und an deren Seiten sich bis zu 300 m hohe Felswände auftürmen. Die Schlucht zieht neben Kletterern auch viele Tagesausflügler in Reisebussen oder privaten PKWs an und so kleben dort nicht nur Kletterer an den Wänden, sondern auch unzählige Verkaufsstände und kleine Cafés und wer dort klettern will, muss (zumindest im Zentrum der Schlucht) damit klarkommen, dass immer wieder Autos mit neugierigen Schlucht-Besuchern anhalten, um das Klettern zu beobachten oder den Sichernden in irgendeinen Small-Talk zu verwickeln.

 

Je mehr man sich allerdings vom Herzen der Schlucht entfernt, desto ruhiger wird es. Es gibt dort zwar auch ein paar wenige gute Sportklettersektoren, der Trumpf der Todra-Schlucht liegt aber ganz klar in seinem Angebot an Mehrseillängenrouten, welche im Gegensatz zu denen in der Taghia-Schlucht, auch eine grosse Anzahl an Routen im Anfänger und moderaten Fortgeschritten-Bereich beinhalten. Die meisten Routen sind mittlerweile mit Bohrhaken abgesichert, wenn nötig fix zum abseilen ausgerüstet oder aber so angelegt, dass man zu Fuss über einen (meist langen) Abstieg wieder zum Ausgangspunkt zurückkommt.



Die familiäre Atmosphäre auf dem Campingplatz von Rachid und Azzeddine hat es uns nicht leicht gemacht erneut unsere Sachen zu packen und weiterzuziehen - doch so langsam aber sicher begannen die verbleibenden Tage unserer Reise zu schrumpfen und wir mussten uns wohl oder übel in einer erneuten Schleife durchs Inland wieder zum Fährhafen nach Tanger heran arbeiten“ …


 

Auf den langen Fahrstrecken in Marokko gibt es immer wieder Gelegenheit für einen Espresso-Stop am Strassenrand.

 

Dort tranken wir übrigens den leckersten Espresso unserer gesamten Reise!


Mit deutlich weniger Zwischenstopps als auf dem Hinweg machten wir uns also via Erg Chebbi und Essaouria wieder auf unseren Weg in Richtung Norden. Die Wüste Erg Chebbi stand eigentlich überhaupt nicht auf unserer Liste, dessen was wir - abseits der Klettergebiete - gerne sehen wollten, aber von Tinghir aus waren es gerade mal 3 Stunden Fahrtzeit und die Gelegenheit war dann einfach doch zu günstig, um mal etwas „Wüsten-Feeling“ zu erleben.

 

Da wir davon ausgegangen sind, dass wir ohne 4 x 4 nicht mal hinter die erste Düne kommen würden und wir („Wenn schon - denn schon!“) auch wirklich in(!) die Wüste wollten, buchten wir ein wenig widerstrebend eine geführte Tour, welche versprach uns mit Hilfe von Kamelen ca. 1,5 Stunden weit in die Wüste zu bringen und dort ein Zeltlager für die Übernachtung zur Verfügung zu stellen.



… na, ja - was sollen wir sagen: Mit viel Fantasie könnte man sagen, dass es so war wie angepriesen - auf der anderen Seite war es dieses aber eben auch genau gar nicht!

 

Unsere Kamelkarawane bewegte sich zwar rein offiziell mehr als 1,5 Std. im Wüstensand, allerdings immer schön in Sichtweite der angrenzenden Ortschaften und das „Zeltlager“ welches wir nach unserem Weg - wenn schon nicht in die Wüste hinein, dann doch zumindest brav am Wüstenrand entlang - erreichten, war vielmehr ein auf Betonfundament errichtetes Camp. Private Dusche und WC im Zelt inklusive - und das trotz des herrschenden akuten Wassermangels.

Denn aufgrund des auch hier deutlich zu warmen und regenfreien Sommers, müssen die Bewohner anstatt den sonst üblich vier Metern bereits über 20 m tief in die Erde graben, um an Wasser zu gelangen. Und selbst dann gibt es noch keinen Garant darauf auf Süsswasser zu treffen.

Wir hatten also wieder etwas dazu gelernt: Ein Mal pro Reise fällt man halt immer (auch trotz aufmerksamer Vorsicht) auf irgendetwas herein und wir wurden eindringlich daran erinnert, einfach aus Prinzip nichts zu machen, was nur mit einer Gruppenbuchung möglich ist - egal wie „einmalig“ das Angebot auch klingen mag.

 

Zur Ehrenrettung der Veranstaltung sei allerdings noch angefügt, dass der morgendliche Sonnenaufgang über der Wüste wirklich grossartig war!

 

... Unserer Meinung nach reicht es dafür aber auch absolut mit seinem Wagen einfach so nah an die Sanddünen heranzufahren wie es das jeweilige Fahrzeug zulässt und früh genug auf eine der etwas höheren Sanddünen zu klettern …



Der Ort unseres nächsten Stopps befand sich dann bereits schon wieder an der Küste. 20 km südlich von Essaouria liessen wir uns in dem kleinen Dorf Sidi Kaouki nieder.

 

Dort gab es eigentlich nichts - ausser 2 Campingplätzen, kilometerlangem Strand und einer Handvoll Surfschulen. Einer spontanen Lust folgend hatten wir nämlich beschlossen für ein paar Tage die Elemente zu tauschen und anstatt klettern zu gehen mal in die Welt des Surfens - genauer gesagt des Wellenreitens - hineinzuschnuppern.

Da sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin sehr wenige Menschen in dem Ort aufhielten, kamen wir durch den fehlenden Andrang sogar in den Genuss von Privatstunden und nachdem der erste Tag noch durch vermehrte Salzwasserspülungen der diversen Körperöffnungen gekennzeichnet war, wurden wir am zweiten Tag mit ausreichenden „Surf-Skills“ entlassen, um eigenständig in Anfängertauglichen Wellen unsere neu erlernten Fähigkeiten zu festigen.



… im Rückblick war unsere Marokko-Reise - ähnlich wie wir es erwartet hatten - also weniger ein harter Kletter-Trip, dafür aber ein umso intensiveres Eintauchen in eine bis dahin unbekannte Kultur mit durchweg bereichernden Begegnungen und Erlebnissen. Durch unsere verhältnismässig häufigen Ortswechsel hatten wir zwar das ein oder andere Mal das Gefühl zu früh weiterziehen zu müssen, dennoch sind wir froh die Gelegenheit mit dem eigenen Van dort gewesen zu sein genutzt zu haben um einige der zum Teil sehr unterschiedlichen Gesichter dieses Landes kennenzulernen.

 

Ein Fotokommentar auf einen What´s App-Status lautete mal: „… das ist Marokko!“. Jede/r Reisende hat mit Sicherheit - abhängig von seinen individuellen Erinnerungen und Emotionen zu seinen Erlebnissen, Begegnungen und gemachten Erfahrungen - ein gänzlich unterschiedliches Bild davon, was für ihn/sie Marokko „ist“ und so sitzen wir genau jetzt (also, wenn du das liest dann natürlich nicht mehr …) auf der Fähre von Tanger nach Tarifa, lassen uns nochmal die letzten Strahlen marokkanische Sonne ins Gesicht scheinen und fragen uns, was „ist Marokko denn für uns“?



Wenn wir an die letzten vier Wochen zurückdenken, dann denken wir an wunderschöne Landschaften - vom Meer über die Wüste bis hin zu über 4000m hohen Bergen - an das Gefühl von erstklassigem Fels unter den Fingern sowie an das salzige Meerwasser bei unseren ersten Surfversuchen, an riesige Schlaglöcher, abenteuerliche Schotterpisten aber auch astreine Autobahnen, unzählige Verkehrskontrollen und ein scheinbar regelloses Durcheinander in den Kreisverkehren, unendliche Labyrinthe aus Lebensmittelmärkten, wöchentlichen Souks und gigantische Supermärkte, geröstete Nüsse, zuckersüsse Datteln, die aromatischsten Oliven der Welt, köstliche Tajines, daran dass Tee mit Zucker einfach besser schmeckt, den täglichen frischen Verveine-Tee nach dem Abendessen, die ersten gelernten Worte auf Arabisch und Berber, die vielen Menschen, die uns sichtlich berührt haben, sich uns geöffnet haben und uns an sich heran gelassen haben - und die unsere Reise zu dem gemacht haben, was sie war …

 

Und um zum Abschluss einen Blick in die Zukunft zu riskieren:

Wiederkommen werden wir auf jeden Fall!

 

… Inschallah! ;-)